Das Glashütter Ankerchronometer

Einleitung

 

Wenn man sich als Sammler mit diesem Thema beschäftigt, wird man feststellen, dass es in der einschlägigen Literatur seit den 1980er Jahren eine Reihe sehr unterschiedlicher Auslegungen dieses Begriffes gegeben hat, was zu einer gewissen Verunsicherung geführt hat, was denn eigentlich ein Glashütter Ankerchronometer ausmacht und woran man es erkennen kann. Da diese Präzisionsinstrumente wegen ihrer geringen Fertigungszahl relativ selten sind, dürfte es für Anbieter und für Interessenten gleichermaßen von Interesse sein, genau zu wissen ob es sich im Zweifelsfall um ein echtes Glashütter Taschenchronometer mit Ankerhemmung, ein sogenanntes Ankerchronometer oder um eine Glashütter Präzisionstaschenuhr mit Chronometerunruh handelt.

Moritz Grossmann Taschenchronometer mit Ankerhemmung Nr. 5306 von 1882

Auf dem weltweiten elektronischen Markt, aber auch bei Auktionen, tauchen immer wieder Glashütter Taschenuhren auf, die zu Unrecht als Glashütter Ankerchronometer beworben werden. Das macht deutlich, dass es oft an der Kenntnis einer klaren und eindeutigen Definition des Begriffes „Glashütter Ankerchronometer“ mangelt. Um besser zu verstehen, was es damit auf sich hat, scheint es geboten, sich auch ein wenig mit der Historie dieser Präzisionsinstrumente zu beschäftigen.

Die eindeutig präziseste Beschreibung, was ein Glashütter Taschenchronometer mit Ankerhemmung ist, findet sich in der von der Stiftung Deutsches Uhrenmuseum Glashütte – Nicolas G. Hayek 2009 herausgegebenen Veröffentlichung von Prof. Dr. Dittrich „Der Anbeginn einer Tradition - Die ersten 50 Jahre Präzisionsuhren-Herstellung in Glashütte von 1845 bis 1895“.

Der Autor weist berechtigt darauf hin, dass es seit dem 19. Jahrhundert bis heute, was die Begrifflichkeit betrifft, eine dem technischen Fortschritt geschuldete Entwicklung gegeben hat, die es erforderlich macht, zwischen einer historischen und einer seit etwa den 1930er Jahren gebräuchlichen Definition zu unterscheiden.

Glashütter Ankerchronometerwerk Nr. 5306 von Moritz Großmann
Glashütter Ankerchronometerwerk Nr. 5306 von Moritz Großmann

Die historische Definition beschreibt der Autor wie folgt: „Chronometer sind äußerst genau gehende Uhren mit Chronometer-Hemmung zur Bewahrung der Zeit (auch als Referenz). Sie sind für den Gebrauch auf See (zur Navigation, in Kardanischen Aufhängungen in einem stabilen Holzkasten, sogenannte >>Seeuhr<< oder >>Längenuhr<<), für astronomische Zwecke und zur geographischen Ortsbestimmung auf dem Lande sowie für wissenschaftliche Zwecke bestimmt.“

Die gegenwärtige Definition wurde wie folgt beschrieben: „Chronometer sind äußerst genau gehende Uhren, die die Prüfung eines dafür zugelassenen Institutes zertifiziert bestehen. Sie müssen für alle Zwecke einsetzbar sein, die eine Ganggenauigkeit von unter einer Sekunde in 24 Stunden fordern. Die Hemmungspartie ist nicht nur auf eine Chronometer-Hemmung im klassischen Sinne beschränkt. Es können auch dafür ausgewiesene Anker- oder Wippenhemmungen für diese Chronometer verwendet werden. Chronometer müssen transportabel oder auch am Körper zu tragen sein. Die Differenzierung zwischen Taschen- und Marinechronometer erfolgte erst nach der Reichsgründung – nachdem die Deutsche Seewarte 1875 entstanden war, die kaiserliche Flotte einen größeren Bedarf an diesen Uhren anmeldete und mit den ersten Prüfungen der Chronometer und Taschenuhren begonnen wurde.“

 

Zu dem Begriff Taschenchronometer [20] äußert sich Prof. Dittrich folgendermaßen: „Dieser Begriff wurde erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts geprägt, nachdem man die Nachteile der Federhemmung nach Earnshaw für stark bewegte Uhren durch die neuaufkommenden Wippen überwinden konnte. Rückschauend war es dann natürlich erlaubt, die vor dieser Zeit angefertigten kleineren, am Körper zu tragenden Chronometer – wie zum Beispiel von Harrison, Kendall, Arnold, L. Bertoud, Motel, Emery, Seyffert und Gutkaes – ebenfalls als Taschenchronometer zu bezeichnen, wie man es meist auch in der Literatur liest. Auch wir wollen es hier so handhaben.“

 

Auf der Grundlage dieser Begrifflichkeiten kommt Prof. Dittrich zu der wohl unbestritten klarsten Definition, was ein Glashütter Taschen- bzw. Ankerchronometer ausmacht.

 

1. „Ankerchronometer sind Uhren für höchste Anforderungen mit einem außergewöhnlich guten Gangverhalten.

 

2. Sie bestehen aus einem speziell ausgesuchten Material, sind hochfein hergestellt und finisiert sowie in allen Lagen und unterschiedlichen Temperaturen reguliert.

 

3. Sie besitzen ein großes Kaliber von mindestens 20 Linien (entspricht einem Werkplattendurchmesser von 45 mm).

 

4. Sie besitzen eine schwere Kompensationsunruh, deren Durchmesser größer als der Grenzwert nach der Großmann’schen Formel sein muss (Unruhdurchmesser > Werkplattendurchmesser x 0,4). Für eine 20-linige Uhr entspricht dies einem Mindestdurchmesser der Unruh von 18 mm.

Einige Ankerchronometer sind mit eigens dafür erdachten, übergroßen Unruhen ausgerüstet, für die extra die Gangradwelle verkürzt und mit einem zusätzlichen oberen Ankerlagerkloben ausgerüstet werden musste, damit die große Unruh noch darüber schwingen kann. Andere bekamen Unruhen mit zusätzlich, schweren Gewichten, wie sie sonst nur bei Marinechronometern üblich sind.

 

5. Ankerchronometer mussten die Prüfgrenzen der Deutschen Seewarte oder eines anderen anerkannten Institutes einhalten und sollten möglichst in die Sonderklasse oder mindestens in die 1. Klasse eingeordnet werden.“

[1]

 

1880

Der vermutlich erste verifizierbare Hinweis auf eine solche Sonderkonstruktion einer Glashütter Präzisions-Taschenuhr der Firma A. Lange & Söhne,  über der Qualitätsstufe 1a, findet sich am 29. Mai 1880 in einem im Allgemeinen Journal der Uhrmacherkunst veröffentlichten Schreiben der Firma A. Lange & Söhne. Darin heißt es: „Nächstdem fertigen wir in neuerer Zeit außer den Uhren erster Qualität noch Uhren, die den höchsten Grad der Vollendung an sich haben und auch den peinlichsten Anforderungen genügen.“ Bei dieser neuen Taschenuhrkonstruktion dürfte es sich unzweifelhaft um die erste, verifizierbare Benennung der erst zum Ende des 19. Jahrhunderts als „Ankerchronometer“ bezeichneten  Präzisionstaschenuhr handeln.

 

Schreiben der Firma A. Lange & Söhne Glashütte
AJU 1880.pdf
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Aufgrund Aussage der Firma A. Lange & Söhne in der vorstehenden Veröffentlichung vom Mai 1880, dürfte klar sein, dass es vor 1880 keine ALS-Präzisions-Taschenuhren mit der später als "Ankerchronometer" bezeichneten Sonderkonstruktion gegeben haben kann.

Anmerkungen zur Prüfung, Bestimmung und Zertifizierung des sogenannten Glashütter Ankerchronometers

 

Die an die Gangleistungen gestellten Anforderungen eines in die Sonderklasse oder in die 1. Klasse eingestuften Chronometers haben nichts mit den weitaus geringeren Anforderungen gemein, die nach dem von der Deutschen Seewarte erlassenen Regulativ für die Prüfung von Präzisions-Taschenuhren an die Ausstellung eines Gangregisters (Gangscheines) gestellt wurden. Es handelt sich dabei um unterschiedliche, voneinander unabhängige Prüfverfahren, die auch strikt voneinander getrennt zu betrachten und zu bewerten sind.

[25]
[25]

Diese Werbung der Dresdener Großhandelsfirma Dürrstein & Comp. dokumentiert mit der Formulierung

 

"Jede Uhr kann auf Wunsch mit Gangregister versehen werden."

 

eindeutig, dass von den Glashütter Präzisions-Taschen- Uhren nicht nur die besonders herausgestellten und beworbenen Uhren, wie z.B. das sogenannte "Ankerchronometer" der Firma A. Lange & Söhne, geeignet waren, den Anforderungen, die die staatlich zugelassenen und zuständigen Prüfinstitute an der Deutschen Seewarte Hamburg und der Königlichen Sternwarte Leipzig an die Ausstellung eines Gangregisters (Gangschein) für eine Präzisions-Taschenuhr gestellt hatten, zu entsprechen. Die Firma A. Lange & Söhne ließ ihre Uhren fast ausschließlich von der Königlichen Sternwarte in Leipzig Prüfen. Die Prüfbedingungen für den Erhalt eines Gangscheines waren in Leipzig wesentlich leichter zu erfüllen, als die der Seewarte Hamburg. Ähnelten die Hamburger Prüfbedingungen in stark abgeschwächter Form wenigstens noch den der jährlichen Konkurrenzprüfung von Chronometern, hatten die Leipziger Prüfbedingungen damit überhaupt nichts mehr damit zu tun.

[26] LUZ 1904
[26] LUZ 1904
Bestimmungen über die XV. Prüfung von Marine-Chronometern auf der Deutschen Seewarte zu Hamburg vom
06. 11.1891 - 14.04.1892.pdf
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Die umfangreichen Rechercheergebnisse zu den sich aus den bisherigen Veröffentlichungen ergebenden Fragestellungen zum Glashütter Ankerchronometer sind von den Autoren H.-G. Donner und Dr. R. Buckesfeld in dem Artikel „Anmerkungen zur Definition und Zertifizierung des sogenannten Glashütter Ankerchronometers“ zusammengefasst und mit den entsprechenden Quellenverweisen verifizierbar belegt.

Anmerkungen zur Definition, Bestimmung und Zertifizierung des sogenannten Glashütter Ankerchronometers
Ankerchronometer Stand 15.09.2013.pdf
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Bei den Materialien, welche den Recherchen zugrunden lagen, war entgegen anderer Behauptungen kein verifizierbarer Hinweis darauf zu finden, dass die Bezeichnung Ankerchronometer in den im Original erhaltenen Werkstatt- bzw. Verkaufsunterlagen verwendet wurde. Diese Bezeichnung wird aber in den Zertifikaten des Glashütter Uhrenmuseums - im Widerspruch zu der ebenfalls vom Museum vertriebenen „Lange Liste“ - sowohl bei den in den Firmenunterlagen als 20-linig, als auch bei denen als 21-linig ausgewiesenen Werkausführungen verwendet. Am 26.08.2013 wurde eine entsprechende Anfrage mit der Bitte um Klärung an den Geschäftsführer der Stiftung Deutsches Uhrenmuseum Glashütte gestellt.

 

Bis zum jetzigen Zeitpunkt ist diese Anfrage trotz Nachfrage unbeantwortet geblieben.

 

 Glashütter Hersteller

 

Auf der Grundlage der Glashütter Hausindustrie ist die Fertigung von Glashütter Präzisions-Taschenuhren mit 20 Steinen, in feinster Vollendung mit extra großer Kompensationsunruh zur Erzielung eines möglichst gleichmäßigen Ganges, den „sogenannten Ankerchronometern“ ist nach derzeitigen Kenntnisstand von den nachfolgenden aufgeführten Glashütter Herstellern bekannt.

                                                • A. Lange & Söhne

                                                • Julius Assmann

                                                • Union Glashütte

                                                • Richard Glaeser

                                                • Ernst Kasiske

 

Zur Historie des Begriffes Taschenchronometer mit Ankerhemmung und dem guten Größenverhältnis zwischen Werkgestellplatte und Unruhdurchmesser.

Dass eine Glashütter Präzisionstaschenuhr, auch schon in den 1880 Jahren, von Rechts wegen her erst dann als Taschenchronometer mit Ankerhemmung bezeichnet werden durfte, wenn sie die entsprechende Chronometer-Prüfung eines dafür zugelassenen Institutes bestanden hatte, wurde bereits 1883 im Allgemeinen Journal der Uhrmacherkunst publiziert. Es heißt dazu: „Heutzutage nennt man ziemlich übereinstimmend eine solche Uhr ein Chronometer, die auf dem Observatorium ein Zeugnis über guten Gang erhalten hat, hingegen Halbchronometer eine solche mit Kompensationsunruhe, die aber nicht nach verschiedenen Temperaturen reguliert worden ist.“ [12]

Gestützt wird diese Aussage auch in dem nachfolgenden Artikel der DUZ aus dem Jahr 1989 über die zehnjährige Tätigkeit des Chronometer-Prüfinstitutes an der Deutschen Seewarte Hamburg und dem 1887 erlassenen Regulativ für die Prüfung von Präzisions-Taschenuhren. [13]

Chronometer und Halbchronometer
Halbchronometer AJU 1883 S. 182.jpg.pdf
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Die Tätigkeit des Chronometer-Prüfinstitutes an der Deutschen Seewarte Hamburg
Chronometerprüfung Seewarte Hamburg 1889
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Regulativ für die Prüfung von Präzisions-Taschenuhren durch die Abtheilung IV der Deutschen Seewarte ( Chronometer-Prüfungs-Institut).[24]
1887 Prüfungsordnung von Präzisionstasch
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Die Erhaltung der Feinstellung
Ausführungen zur Definition des Begriffes Chronometer und Taschenchronometer [21]
AJU 1912 Nr. 23.pdf
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Zwischen dem frühen und dem späten Werk liegen fast fünf Jahrzehnte. Sie unterscheiden sich im Wesentlichen nur durch die in der zweiten Hälfte der 1880er Jahre eingeführte neue Rücker-Feinregulierung (Schwanenhals) und der ab 1905 verwendeten, neu entwickelten  Nickelstahl-Unruh.

Werk Nr.14522
Werk Nr.14522

ALS 1a Werk für eine offene TU mit mit Rechen-Feinregulierung aus dem Jahr 1880 in der später mit "Ankerchronometer" bezeichneten Bauweise mit extra großer Unruh zur Erzielung eines möglichst gleichmäßigen Ganges.

Hochfein vollendetes, 20-steiniges Glashütter Savonette  Präzisionstaschenuhrwerk der Firma A. Lange & Söhne in der Qualität 1a aus dem Jahr 1928 mit extra großer Unruh und Rücker-Feinregulierung. Diese seit etwa 1879 gefertigte Werkkonstruktion wurde vermutlich ab 1899 mit der Bezeichnung "Ankerchronometer" beworben und bis in die 1930er Jahre gefertigt.

 

Anhand der Quellenlage wird deutlich, dass nicht jede in der höchsten Qualitätsstufe gefertigte Glashütter Präzisionstaschenuhr mit 20 oder mehr Linien, die aufgrund ihrer Werkabmessungen ein über der Großmann'schen Empfehlung liegendes Unruhmaß hat, auch gleichzeitig, sozusagen automatisch, ein Taschenchronometer mit Ankerhemmung oder ein sogenanntes Ankerchronometer war. [23]

Taschenchronometer wurden in den Chronometerprüfungen zwar von den Marinechronometern getrennt klassifiziert, aber die Prüfbedingungen waren, auch schon im 19. Jahrhundert, die Gleichen. [14]

 

1885-1886 Preisbewerbung von Chronometern in Bezug auf die Güte ihrer Kompensation
Chronometerprüfung AJU Nr.26v.27.6.1885S
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Weitere interessante Hinweise und Informationen zu diesem Thema

 

Fachzeitschrift Klassik Uhren 6/2004. Einmal handelt es sich um das Faksimile eines handschriftlichen Vermerkes von Ferdinand Adolf Lange aus dem Jahr 1851, in dem der Ausdruck „Chronometer Unruhe“ gebraucht wurde, und um die Abbildung des Staubdeckels des Gehäuses für das Aßmann-Werk Nr. 1135, was etwa aus dem Jahr 1855 stammen dürfte. Nähere Erläuterungen dazu finden sich in diesem Beitrag leider nicht. [15]

Quelle:[15]
Quelle:[15]

1879 erscheint in der Deutschen Uhrmacher-Zeitung eine Antwort von Moritz Großmann auf die Anfrage 325: „Woher und zu welchem Preis bezieht man Rohwerke und sämtliche Hemmungstheile zu Taschen-Chronometern?"

[3] DUZ 1879
[3] DUZ 1879

Die Beantwortung ist in mehrfacher Hinsicht sehr interessant. Einmal dokumentiert M. Goßmann, dass er unterhalb eines Werkgestell- durchmessers von 45 mm (21 Linien) keine Chronometer-Rohwerke anbot und andererseits wird deutlich, dass nicht jedes Rohwerk, was eine Großmann-Werknummer trägt, auch automatisch eine Großmann Uhr sein muss. Dass der für Chronometer-Rohwerke angegebene Mindestdurchmesser bedingt durch die Glashütter Hausindustrie auch für die anderen Glashütter Hersteller galt, dürfte als sehr wahrscheinlich angesehen werden. Gestützt wird diese Annahme durch die Tatsache, dass bis in die 1930er Jahre in den Modellkatalogen und Preisblättern der Firma A. Lange & Söhne kein Ankerchronometer unter 47 mm (21 Linien) Werkgestelldurchmesser angeboten wurde.

 

Wie verhält es sich nun mit den anfangs benannten „unterschiedlichen Auslegungen“ des Begriffes „Glashütter Taschen- bzw. Anker- chronometer“? Im Wesentlichen geht es dabei in den Veröffentlichungen zu diesen Uhren ab den 1980er Jahren um unterschiedliche Angaben zum Werkgestelldurchmesser und dem Durchmesser der Unruh. [4]

Dabei spielt neben der Einhaltung der Großmann’schen Formel die Frage, ob der Durchmesser der Unruh über den Unruhreif oder die Schrauben gemessen wird, eine nicht unbedeutende Rolle. Der entscheidende Hinweis findet sich in der Großmann’schen Preisschrift „Abhandlung über die Konstruktion einer einfachen, aber mechanisch vollkommenen Uhr“ aus dem Jahr 1868. Zur Unruh äußert sich Moritz Großmann darin wie folgt:

Quelle:[5]
Quelle:[5]

Von entscheidender Bedeutung ist hierbei, dass man, wenn man diese Angaben von Moritz Großmann zum Durchmesser der Unruh mit den in seinen Uhren verwendeten Unruhen vergleicht, feststellt, dass er von dem tatsächlichen, das heißt in diesem Fall bezogen Kompensationsunruhen mit Gewichts- und Regulierschrauben aus der Glashütter Hausindustrie, über die Schrauben gemessenen Durchmesser der Unruh ausgegangen ist. Die nachfolgenden beiden Bildbeispiele sollen dies verdeutlichen.

Die aus der Antwort auf die in der DUZ 1879 gestellten Frage 325: „Woher und zu welchem Preis bezieht man Rohwerke und sämtliche Hemmungstheile zu Taschen-Chronometern?" abgeleiteten Mindest-Werkgestellgrößen für Glashütter Taschenchronometer und die daraus nach den Großman'schen Empfehlungen abgeleiteten Mindestgrößen der Unruhen für ein Glashütter Taschenchronometer mit Ankergang sind in der Tabelle Pink dargestellt. [2]

Werkgröße ( Linien)

1 Linie = 2,256 mm

  Durchmesser der

   Werkgestelllpatte  

Durchmesser der Unruh

19 42,86 17,14
20 45,12 18,05
21 47,41 18,96
22 49,63 19,85
23 51,89 20,76
24 54,13 21,65
25 56,40 22,56

Ausgangspunkt der kontroversen Diskussion dürfte der Artikel „A. Lange und Söhne Ankerchronometer“ in der Fachzeitschrift "Alte Uhren und moderne Zeitmessung"  (Nr. 1/1988) gewesen sein. In Abb. 1 & 2 wurde eine ALS Taschenuhr, für die ein Fertigungszeitraum um 1880 angegeben wurde, wie folgt beschrieben: „Der Werkdurchmesser dieser Uhr beträgt 45,9 mm, der Unruhdurchmesser, über die Goldschrauben gemessen, 19,5 mm“. Im weiteren Verlauf heißt es: „Im ALS-Katalog von 1932 wird dieses Werk in einem Savonette-Gehäuse Form Louis XV in 18ct mit Gehäusegewicht 125g als Ankerchronometer mit extra großer Nickelstahlunruh zur Erzielung eines möglichst genauen Ganges zum Preis von RM 1600,- angeboten“. [6] Diese Angaben stimmen aber in dem entscheidenden Punkt, nämlich der Angabe der Werkgröße, mit der Wirklichkeit nicht überein. Der zitierte ALS-Katalog von 1932 weist das Glashütter Ankerchronometer unter der Bestellnummer 351 mit einem Werkdurchmesser von 47 mm (21 Linien) und nicht wie angegeben mit 45,9 mm aus. Auch in den Modellkatalogen und Preislisten der Firma A. Lange & Söhne aus den Jahren 1899, 1910, 1926 und 1928 wurden keine sogenannten "Ankerchronometer" mit großer Unruh unterhalb eines Werkgestelldurchmessers von 47 mm angeboten, was die Frage aufwirft, welche Angaben nun die wirklich richtigen sind.

Zu erwähnen wäre auch, dass das vorgestellte Werk (1880) noch keine "extra große Nickelstahl-Unruh" haben konnte, da es diese Unruhen noch nicht gab. Erst 1899, rund 20 Jahre später, diskutierten Fachkreise "...die Prüfung neuer Metall-Legierungen (Nickelstahl, Legierungen für Antimagnetische Spiralfedern und Unruhen u.s.w.)..." [19] Die Firma A. Lange & Söhne erhielt erst 1907 die Lizenz zur Herstellung von Nickelstahlunruhen für Deutschland.[21]

 

Hinweise von mehreren Uhrmachern und Restauratoren, dass sie bei Ihren Werkvermessungen in der Regel nicht den tatsächlichen Werkdurchmesser, sondern den im Durchmesser geringfügig kleineren Falz messen, waren Veranlassung mehrere sogenannte Ankerchronometerwerke, die auch in unterschiedlichen Gehäusen eingeschalt sind, zu vermessen.

Im Ergebnis war zu konstatieren, das keines der vermessenen Werke die zertifizierte Werkgröße von 21 Linien = 47,34 mm aufwies. Der maximale Werkdurchmesser war 46,2 mm und der minimale belief sich auf 46 mm (nicht über den Falz gemessen).

Das legt die Vermutung nahe, dass bei verschiedentlich in der Vergangenheit publizierten sogenannten Ankerchronometerwerken mit Werkdurchmessern von unter 46 mm nicht auszuschließen ist, dass es sich dabei um Messungen im Falz gehandelt hat. Da trotzt unterschiedlicher maximaler Werkdurchmesser die Maße der Werkkonstruktion unverändert blieb, ist bis zu einem eventuellen Beweis des Gegenteils davon auszugehen, dass es nur ein Werkkaliber gab, welches von der Firma A. Lange & Söhne aufgerundet mit 47 mm als Ankerchronometer beworbenen wurde.

Um Lesern eine objektive Bewertung der dargestellten bzw. beschriebenen Objekte zu ermöglichen und um zukünftigen Generationen die Recherchearbeit zu erleichtern, sollte in den Publikationen, bei denen Maßangaben zu Uhren, Werken und Werkteilen gemacht werden, stärker darauf Wert gelegt werden, neben den absoluten Ergebnissen auch die angewendeten Methoden und Messpunkte zu publizieren.

 

 Die nach den originalen Werkstattunterlagen der Firma A. Lange & Söhne erstellte „Lange Liste“ von Martin Huber - im Jahr 2000 herausgegeben von Christian Pfeiffer-Belli, Chefredakteur der Fachzeitschrift Klassik Uhren - bei der Waldemar Becker als Co-Autor genannt ist, weist die um 1880 gefertigten ALS Ankerchronometer ebenfalls mit einen Werkdurchmesser von 47 mm aus. Gleiches gilt auch für das 1936 gefertigte Werk Nr. 82521, für das in Abb. 4 des oben genannten Artikels die Unruhgröße mit einem Reifdurchmesser von 16,9 mm und über die Schrauben gemessen ein Durchmesser von 19,5 mm angeben wurde. Auch in der besagten „Lange Liste“ wurde aus nachvollziehbaren Gründen (siehe betr. Seiten in den ALS Katalogen) dokumentiert, dass es unterhalb von 47 mm (21 Linien) Werkgestelldurchmesser keine ALS Ankerchronometer gegeben hat. [8]

 

Seit der Herausgabe der sogenannten „Lange Liste“ im Jahr 2000 ist die Frage, welche Angaben stimmen, nicht geklärt.

Auch das Rechte der nachfolgend gezeigten beiden Werke mit der Nummer 43442 aus dem Jahr 1900 wurde in der "Lange Liste" mit einem Durchmesser von 21 Linien, dass entspräche 47,37 mm (1 Linie = 2,2558 mm), ausgewiesen. Die Vermessung des Werkes ergab aber nur einen Werkdurchmesser von 45,8 mm, was eindeutig einer Werkgröße von 20 Linien entspricht. Da dieses Maß schon mehrfach bei Präzisions-Taschenuhren der Gruppe 8 (Ankerchronometer) der "Lange Liste nachgewiesen wurde, und auch eine Reihe von Präzisions-Taschenuhren  mit der Werkkonstruktion des sogenannten "Ankerchronometers" bekannt sind, die nicht in der Gruppe 8 aufgeführt wurden, drängt sich die Frage auf, wie valide die in der Lange Liste getroffenen Aussagen überhaupt sind.

 

In Heft 1/1997 der Fachzeitschrift "Klassik Uhren" erschien in der Fortsetzungsreihe "Glashütte damals Teil XVII" der Artikel "A. Lange & Söhne - Uhren mit Werken von Moritz Großmann", in dem die Frage der Größe der Unruh in Bezug auf die Kategorisierung bei einer Reihe von Glashütter Präzisionstaschenuhren mit Werken bzw. Werkbestandteilen aus dem Nachlass von Moritz Großmann, die von der Firma A. Lange & Söhne aufgekauft und vollendet wurden, wiederum eine wesentliche Rolle spielte. Es heißt darin: „Allen Uhren erhalten blieb die große Chronometerunruh mit einem Durchmesser von 17,5 mm bei einem Werkdurchmesser von 42,6 mm.  Da das Größenverhältnis Unruh zum Werkdurchmesser dem des ALS Ankerchronometers entspricht, handelt es sich bei diesen Uhren um kleine Ankerchronometer.“ [9]

Die Bezeichnung „kleine Ankerchronometer“ wäre eine neue Kategorie, die bisher in den bekannten Fachpublikationen nicht auftaucht und die auch meines Erachtens nach nicht tragfähig ist. Die Bezeichnung Chronometer - und das gilt auch für Taschenchronometer mit Ankerhemmung - ist seit Jahrzehnten an bestehende Prüfkriterien, die bereits beschrieben wurden, gebunden.  [10]

In den zum Artikel gehörenden Abbildungen wurden drei Uhren mit den ALS Werknummern: 18986, 19228 und 25146, die offensichtlich zu der Kategorie „kleine Ankerchronometer“ gehören sollen und für die jeweils nur ein Werkdurchmesser von 42,6 mm (19 Linien) und ein Unruhdurchmesser von 17,5 mm angegeben wurde, vorgestellt. Alle drei Uhren befinden sich in der „Lange Liste“ weder in der Kategorie 8 „Ankerchronometer, große Unruh“, in der die Bezeichnung Ankerchronometer wie folgt erläutert wird: „Ankerchronometer sind Uhren mit extra großer Unruh zur Erzielung eines möglichst gleichmäßigen Ganges. Unruhdurchmesser ca. 19,5 mm gegenüber normalen Uhren von ca. 17,5 mm.“, noch in der nächst niedrigen Kategorie 6 „Uhren mit besonderer Gangprüfung der Sternwarte Leipzig und der Deutschen Seewarte Hamburg“. [8] Im Gegensatz zum ersten Satz der Erläuterungen, in dem auf die „extra große Unruh“ verwiesen wurde, konnte trotzt umfangreicher Recherchen in der Fachliteratur kein Hinweis für die Richtigkeit des zweiten Satzes bezüglich des Unruhdurchmessers von 19,5 mm gefunden werden. Unabhängig davon würde das Großmann’sche Größenverhältnis bei Kaliber 47 mit einem über die Schrauben gemessenen Unruhdurchmesser bereits bei 18,8 mm erreicht sein.

Eine Chronometer-Unruh allein, macht noch kein Chronometer
Eine Chronometer-Unruh allein, macht noch kein Chronometer

In der Sonderausgabe Klassik Uhren 6/2001 anlässlich des 175. Geburtstages von Moritz Großmann wird von den Autoren Prof. Dr. Dittrich, Christian Pfeiffer-Belli, Reinhard Reichel und Bernhard Schaarschmidt unter anderem auch das Thema der Unruhgröße in Bezug auf Taschen- chronometer mit Anker- hemmung behandelt. Sie kommen zu dem Schluss, dass wenn man das Grossmann'sche proportionale Mass von 0,4 in Bezug auf das Größenverhältnis von Werkdurchmesser und Unruhgröße auf Uhren mit einen gößeren Werkdurchmesser als 43,5 (19 Linien) anwendet, kommt man, über die Schrauben gemessen, in einem Bereich über 18 mm Unruhdurchmesser. Dazu heißt es: „Dann müsste man von sog. Chronometerunruhen sprechen, das liesse zumindest den Umkehrschluss zu, dass alle großen Uhren Chronometer wären. Das kann natürlich nicht richtig sein.“ Für die Lösung dieses Problems wurde für die Definition eines "Ankerchronometers" eine über die Unruhgröße hinausgehende, erweiterte Begriffsbeschreibung angeregt. [11]

2009 erschien dann im Sandstein Verlag Dresden die Publikation „Der Anbeginn einer Tradition - Die ersten 50 Jahre Präzisionsuhren-Herstellung in Glashütte von 1845 bis 1895“ von Prof. Dr. Dittrich, in dem die Fragestellung erneut aufgegriffen und, wie schon ausgeführt, ausführlich behandelt wurde. Neu war hier, die Formulierung „Die Großmann’schen Rechenwerte sind demzufolge als Mindestgrößen der Uruhreifdurchmesser für Ankerchronometer anzusehen.“. Eine schlüssige Erklärung dafür findet sich leider nicht. Da in den bisherigen, auf Glashütte bezogenen Publikationen zu dieser Frage, wenn überhaupt, bei Maßangaben der Unruh, von einer über die Schrauben gemessenen Unruhgröße ausgegangen wurde, kann es leicht zu Verwirrungen bei der Einstufung bei publizierten Glashütter Taschenuhren kommen, wenn dabei Unruhgrößen angegeben werden, bei denen nicht klargestellt wurde mit welcher Methode gemessen wurde. [1]

Bis 2009 war in einer Reihe weiterer Veröffentlichungen immer mal wieder der Begriff „Chronometerunruh“ in Zusammenhang mit der Angabe eines Unruhdurchmesser aufgegriffen worden. So zum Beispiel in dem Beitrag "Ankerchronometer" von Dr. Klaus Pöhlmann in Klassik Uhren 4/2004. [4] Dem folgen in Nr. 1/2005 zwei Leserbriefe zu dem vorgenannten Beitrag, von Ulrich Westebbe [16] und Reinhold Dähndel [17], die zwar auf weitere interessante und zu bedenkende Aspekte hinwiesen, in der Sache aber auch zu keiner befriedigenden Klärung geführt haben. Ulrich Westebbe bringt sogar unter Bezugnahme auf Uhren vom „Typ Jürgensen“ und "Ankerchronometer" die Formulierung „Nach der Lang’schen Definition“ im Zusammenhang mit dem Verhältnis von „Werkdurchmesser zu Unruhdurchmesser“ ein, was zu neuer Verwirrung führt. Denn seit 1880, aber spätestens seit der Sonderausgabe Klassik Uhren 6/2001 ist klar, dass die Erkenntnisse dazu auf Moritz Großmann und seiner Preisschrift „Abhandlung über die Konstruktion einer einfachen, aber mechanisch vollkommenen Uhr“ aus dem Jahr 1868, die er 1880 verlegt hat, zurückzuführen sind.  [5] Leider fehlt auch hier, wie so oft, eine Quellenangabe, die der Aufklärung gedient hätte.

Als letztes soll anhand der schon benannten Taschenuhr der Firma A. Lange & Söhne mit der Werknummer 19228 und einem jetzt mit 43 mm angegebenen Werkdurchmesser (19 Linien) verdeutlicht werden, was es bei zukünftigen Publikationen dieser Art zu vermeiden gilt.

Klassik Uhren 1/1997 S. 62-63 Beschreibung als „kleines Ankerchronometer“, 2. Gehäuse 750er Gold, Werkdurchmesser 42,6 mm, große Chronometer-Kompensationsunruh Durchmesser 17,5 mm über die Goldschrauben gemessen. Nachfolgend werden die Angaben aus dem Lange Verkaufsbuch wiedergegeben. Diese enthalten keinen Vermerk auf eine Rücker-Feinregulierung.

 Li. - Unruhkloben & Rückerfeinregulierung Vergleichsbild; Re. Lange Werk Nr.19228
Li. - Unruhkloben & Rückerfeinregulierung Vergleichsbild; Re. Lange Werk Nr.19228

Klassik Uhren 2/2011 S. 16 u. 27 Beschreibung des gleichen Werkes: Großmann Werk 7730 = Lange Nr. 19228, Werkdurchmesser 43 mm, Goldschrauben-Kompensationsunruh Durchmesser 17,5 mm, Stahl- Breguet-Spirale und Schwanenhals-Feinstellung. Auf Seite 27 wurde die besagte Uhr mit der Großmann Werkgestellnummer 7730 als Großmann Uhr in „M. Großmann-Liste der bekannten Uhren“ dokumentiert.

 

Was stellt diese Uhr nun in Wirklichkeit dar?

Es handelt sich dem Augenschein nach um eine Mariage, deren ALS Werk Kaliber 43 aus dem Jahr 1887 stammt, bei dem anhand der Werkgestellnummer 7730 und den Werkstattunterlagen von A. Lange & Söhne lediglich für das Werkgestell ein Nachweis für die Herkunft aus dem Großmann’schen Nachlass erbracht werden kann. Die Rückerfeinregulierung, die bei den Uhren der Firma A. Lange & Söhne erst spät und in einer anderen Form Verwendung findet, wurde nachträglich auf den ebenfalls nicht original zu diesem Werk gehörenden Unruhkloben aufgebracht. [18] Allein an der Form dieses Unruhkolbens dürfte das zweifelsfrei zu erkennen sein.

 

Ein Widerspruch, der sich nicht nur bei diesem Beispiel auftut, ist, dass Unruhen mit einem über die Schrauben gemessenen Durchmesser von 17,5 mm einmal als „große Chronometerunruh“ und einmal als Unruh in normalen Uhren beschrieben wurden, was unter Anderem seit Jahren zu sehr unterschiedlichen und zum Teil nicht gerechtfertigten Kategorisierungen Glashütter Präzisionstaschenuhren geführt hat und führt.

Fazit:

Mit der Darstellung wesentlicher Veröffentlichungen zu dem Thema Taschenchronometer mit Ankergang, der Klärung der Begrifflichkeit, der Dokumentation und Diskussion von Veröffentlichungen zu dem sogenannten „Glashütter Ankerchronometer“ wurde hier der Versuch unternommen, die Probleme, die sich aus unpräzisen Beschreibungen von Glashütter Präzisions-Taschenuhren ergeben haben, aufzuzeigen und soweit wie derzeit möglich zu klären.

 

Was die Begrifflichkeit betrifft, konnte anhand einer Reihe von Originalbelegen nachgewiesen werden, dass bereits zu Beginn der 1880er Jahre die Berechtigung für die Bezeichnung eines Zeitmessers als „Chronometer“, und damit auch für die Taschenchronometer mit Ankergang, an eine amtliche Chronometerprüfung eines dafür zugelassenen Institutes sowie die Einhaltung der jeweils vorgebenen Gangwerte in Verbindung mit einem entsprechenden Zertifikat gebunden war.

Da nach bisheriger Kenntnis in keiner der bekannten Fachpublikationen ein verifizierbarer Nachweis zu finden war, der die Teilnahme eines sogenannten "Glashütter Ankerchronometers" an eine Chronometerprüfung eines dafür zugelassenen Prüfinstitutes publiziert wurde, ist bis zum Beweis des Gegenteils davon auszugehen, dass es sich bei dem „Ankerchronometer“ der Glashütter Firma A. Lange & Söhne  nicht um ein Chronometer mit Ankergang, sondern um eine neue Sonderkonstruktion einer 20-steinigen Glashütter Präzisions-Taschenuhr,  über der Qualitätsstufe 1a gehandelt hat, die zur Erzielung eines möglichst gleichmäßigen Ganges mit einer extra großen Kompensationsunruh ausgestattet wurde.

 

Für diese Präzisions-Taschenuhr wurde die verkaufsfördernde Werbebezeichnung „Ankerchronometer“ von der Firma A. Lange & Söhne nach derzeitigem Kenntnisstand in der zweiten Hälfte der 1890er Jahre kreiert.

Was die dargelegten Fakten zur Werk- und Unruhgröße des sogenannten "Glashütter Ankerchronometers" betrifft, so stellen diese zwar keinen endgültigen Beweis dar, dass es unterhalb einer Werkgestellgröße von 45 mm (20 Linien) und einem Unruhdurchmesser von 18 mm keine Glashütter Präzisions-Taschenuhr in der Bauweise des sogenannten "Ankerchronometers" gegeben hat, aber die starke Indizienkette berechtigt zu der Aussage, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit so war. Bis zu einem verifizierbaren Beweis des Gegenteils, der nur mit einem entsprechenden Artefakt erbracht werden könnte, sollte man davon ausgehen, dass es unterhalb der vorgenannten Parameter keine Fertigung von als "Ankerchronometer"  bezeichneten Glashütter Präzisions-Taschenuhren gab.

 

Unbestritten ist, dass die in der ersten Qualität gefertigten Glashütter Präzisions-Taschenuhren in Verbindung mit der Umsetzung der Großmann’schen Empfehlung zur Größe der Kompensationsunruh und einer entsprechenden Präzisionsreglage, die konstruktiven und qualitativen Voraussetzungen für die von der Deutschen Seewarte 1887 für die Prüfung von Präzisions-Taschenuhren und die Ausstellung eines Gangregisters (Gangscheines) erlassenen Regulativs für die Prüfung von Präzisions-Taschenuhren , erfüllen konnten.

Wichtig ist dabei zu Wissen, dass es sich dabei nicht um eine Chronometerprüfung gehandelt hat. 

Die Glashütter Hausindustrie gewährleistete etwa bis 1920, dass alle daran beteiligten Glashütter Hersteller von Präzisionstaschenuhren mit ihren in der ersten Qualität gefertigten Präzisions-Taschenuhren den Anforderungen gerecht werden konnten und auch in unterschiedlichem Umfang wurden.

 

Hilfreich und wünschenswert wäre es für Sammler, aber auch für Veräußerer Glashütter Uhren, wenn sich in Zukunft die textlichen und bildlichen Publikationen zu diesem Themenkreis, im Besonderen aber auch bei der Beschreibung der Objekte, stärker an den verifizierbaren Fakten orientieren und bei den Veröffentlichungen auch die entsprechenden Quellenangaben gemacht würden.

 

Der Beitrag erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, stellt den derzeitigen Kenntnisstand dar und wird, wenn neue verifizierbare Erkenntnisse vorliegen, entsprechend ergänzt.

Zuletzt aktualisiert: 22.04.2017

Literatur:

  • [1] Stiftung Deutsches Uhrenmuseum Glashütte – Nicolas G. Hayek 2009 Herausgegebenen Veröffentlichung von Prof. Dr. Dittrich „Der Anbeginn einer Tradition - Die ersten 50 Jahre Präzisionsuhren-Herstellung in Glashütte von 1845 bis 1895“.S.37; 138-149
  • [1] S. 142
  • [2] Deutsche Uhrmacher Zeitung Nr. 10 v.15. Mai 1879 S. 95
  • [3] Deutsche Uhrmacher Zeitung Nr. 12 v. 15. Juni 1879 S.115
  • [4] Ankerchronometer; Autor Klaus Pöhlmann; Klassik Uhren 4/2004 S.44-49
  • [5] Moritz Grossmann; Abhandlung über die Konstruktion einer einfachen, aber mechanisch vollkommenen Uhr; Glashütte in Sachsen Im Selbstverlag des Verfassers 1880 S. 51
  • [6] „A. Lange und Söhne Ankerchronometer“; Autor; Waldemar Becker; Fachzeitschrift Alte Uhren und moderne Zeitmessung Nr. 1/1988 S. 8 
  • [7] Original-Glashütter-Lange-Uhren; Verkaufskatalog mit Preisliste; 1932
  • [8] Die Lange Liste; Martin Huber, München 2000; Eigenverlag
  • [9] A. Lange & Söhne-Uhren mit Werken von Moritz Großmann; Autor Waldemar Becker; Klassik Uhren 1/1997 S.62-63
  • [10] Das große Uhren Lexikon; Autor, Fritz von Osterhausen; HEEL Verlag GmbH, Königswinter ISBN: 3- 89880-430-5 S. 57 & 325
  • [11] Sonderausgabe Klassik Uhren 6/2001  175. Geburtstages von Moritz Großmann; Autoren Prof. Dr. Dittrich, Christian Pfeiffer Belli, Reinhard Reichel und Bernhard Schaarschmidt; S. 39-40 & 49
  • [12] Allgemeines Journal der Uhrmacherkunst Nr. 23 v.9.Juni 1883 S. 182
  • [13] Deutsche Uhrmacher-Zeitung Nr. 22 v. 15. Nov. 1889 S. 173-174
  • [14] Allgemeines Journal der Uhrmacherkunst Nr. 26 v. 27. Juni 1885 S. 202-203
  • [15] Klassik Uhren 6/2004; Frühe Glashütter Uhren Teil II S.32-33 Autoren: Prof.Dr. Dittrich; Reinhard Reichel.
  • [16] Leserbrief; Ulrich Westebbe; Klassik Uhren; 1/2005 S.62-63
  • [17] Leserbrief; Reinhold Dähnde;l Klassik Uhren; 1/2005 S.63
  • [18] Glashütte und seine Uhren; 2. überarbeitete und erweiterte Auflage 1988 S. 51; Autor Kurt Herkner, Eigenverlag ISBN3-924222-05-1
  • [19] Algemeines Journal der Uhrmacherkunst Nr. 7. v. 1. April 1899 S. 62
  • [20] Das große Uhren Lexikon; Heel Verlag GmbH; Fritz von Osterhausen; S. 325; ISBN 3-89880-430-5
  • [21] Allgemeines Journal der Uhrmacherkunst Nr. 23 v.1. Dez. 1912 S, 374-375
  • [22] Auf dem Weg zum "Deutschen Chronometer" Autor; Günther Oestmann; Verlag H. M. Hauschild GmbH, Bremen; S.112;  ISBN 978-3-89757-522-6
  • [23] Fachzeitschrift Uhren und Schmuck; 2/1976 S.60-61; "Standardisierung von Chronometern und Armbandchronometern; Autor Dr. H. Vilkner, Greifswald
  • [24] Deutsche Uhrmacher-Zeitung Nr. 11 v. 1. Juni 1887 S. 82
  • Hugo Müller; Zur Chronometerfrage; Handelszeitung für die gesamte Uhrenindustrie und mechanische Musik-Instrumenten-Fabrikation 5,1898 S.207-209
  • [25] Allgemeines Journal der Uhrmacherkunst Nr.2 v.15. Jan. 1995 Beilage Nr.3
  • [26]  Leipziger Uhrmacher-Zeitung Nr. 16 v.15. August 1904 S.253
  • Günther Oestmann; Auf dem Weg zum "Deutschen Chronometer; Verlag Hauschild GmbH, Bremen; ISBN 987-3-89757-522-6

Aktualisiert 28.03.2024

Deutsches Uhrenmuseum Glashütte - Das Bild  mit Video hinterlegt
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